Film • Theater • Regie
»... eine irrwitzige wie überwältigende Theatererfahrung ...« (Bodo Blitz)
Theater der Zeit Oktober 2013
»... eines der eindrucksvollsten Game-Theatererlebnisse dieses Jahres ... Die sinnliche Entfaltung, die Spürbarmachung einer Herausforderung aktivierte die Teilnehmer, nicht die hohle Phrase. Vom Pathos der Revolution sind wir hier ein gutes Stück entfernt, nicht aber von einem Willen zur Veränderbarkeit der Wirklichkeit, von einer Reflexion der individuellen und kollektiven Bedürfnisse. Das Game entfaltet seine eigene Poesie der Schaffenskraft.« (Christian Rakow, Vortrag auf der Züricher Konferenz rePLAYCE: theCity)
nachtkritik 10. November 2013
»Mit Anti-Arpartheids-Dekreten werden Privilegien der Siedler, die mit ihrer Clanzugehörigkeit zusammenhingen, abgeschafft, und schon bald auf Bestreben der Spielergemeinschaft der Sozialismus eingeführt ... Der Sozialismus bringt wie aus dem Bilderbuch Siedler hervor, die sich der Vergemeinschaftung erwirtschafteter Gewinne entgegenstellen und ihre Aktienpakete zurückhalten. Letztendlich werden die Bürgermeisterinnen gestürzt, der Sozialismus wieder abgeschafft und für viele Siedler besonders eine Erfüllung persönlicher Interessen wichtiger und wichtiger: die Unterwelt. ... Zurückblickend auf diese tatsächlich denkwürdigen und eindrucksvollen 24 Stunden sind die unzähligen Möglichkeiten des Spielverlaufs und der eigenen Ausgestaltung seines Lebens in dieser Welt bemerkenswert ... Ein Wagnis, das sich lohnt; das ausgesprochen unterhält, nachdenkliche Momente erzeugt und das hoffentlich in Folge weitere Wagnisse dieser Art anstoßen und befördern wird.« (Nico Hoffmann)
nachtkritik 21. Juli 2013
»Was braucht man, um eine Welt zu erschaffen? ... 21 Tonnen Sand, 250 Kilogramm Spielgeld und 65 Darsteller. Dazu eine Bank, eine Mine, einen Sheriff und eine Unterwelt ... Wozu die ganzen Blüten? Neben den notwendigen Dingen wie Essen und Toilettengänge, die durchaus ihren Preis hatten, lockte auch die Unterwelt, in der alles wie im Prohibitionsbilderbuch ablief: Man kam nur auf Empfehlung und mit Bestechung hinein, musste Wucherkredite aufnehmen, konnte dafür aber, bis man aufflog, auch mit ungedeckten Checks für Vergnügen an der Bar oder beim Glücksspiel bezahlen.« (Philip Reuß)
Badische Zeitung 22. Juli 2013
»Wer das 24-stündige Spiel bis zum Ende durchstehen wollte, konnte entweder innerhalb einer Dorfgemeinschaft klug kooperieren oder radikal individualistisch seinen eigenen Pfad durch das verschlungene Wirtschaftsgeschehen rund um eine Goldmine suchen. Dieses „Open World Game“ maximierte die Handlungsfreiheit und beförderte dadurch Erkenntnisse über die Haltbarkeit sozialer Zusammenhänge.« (Christian Rakow)
Goethe-Institut Januar 2014
nachfolgend verschiedene INTERVIEWS:
Regiodrom in Freiburg: Der Theaterbesucher wird zur Spielfigur
Das Theater Freiburg wird zum interaktiven Spielfeld: Bei Regiodrom wird der Besucher zum Bewohner eines von zwei Dörfern, zum Spieler – und das für 24 Stunden. Wir sprachen mit den Machern.
Badische Zeitung 18. Juli 2013
Was muss man sich unter Regiodrom vorstellen?
Lev Ledit: Regiodrom ist ein wirklich seltenes Format. Es ist auf keinen Fall ein Rollenspiel, Weltsimulation finde ich einen stimmigen Begriff. Denn es gibt keine Level und keine dieser berühmten Rollenspielfiguren, man hat als Spieler ganz einfach die Fähigkeiten, die man als Mensch hat.
Was muss ich als Besucher können, um mitzumachen?
Ledit: Die einzige Anforderung ist, dass man nicht erwartet, das Übliche im Theater zu erleben. Man braucht keine Kraft, es ist gemütlich – man kann am Sandstrand liegen, man kann alles kaufen, was man braucht zum Leben. Niemand wird zu irgendetwas gezwungen. Das ist wichtig zu wissen, weil viele Angst haben, irgendwo mitspielen zu müssen.
Wie geht's los? Der Besucher bekommt am Eingang eine Rolle zugeteilt?
Klaus Gehre: Jeder bekommt einen weißen Anzug gestellt, ordnet sich einem von zwei Dörfern zu, bekommt einen Clan-Namen und lebt dort für 24 Stunden. Ob die beiden Dörfer miteinander oder gegeneinander spielen, entscheiden sie selbst.
Ledit: Wie im wirklichen Leben sucht man sich seine Rolle im Dorf. Wenn man nicht arbeiten will, kann man auch Bettler werden. Es gibt diese Rolle offiziell zwar nicht, aber wenn man will, kann man in unserem Spiel durch die Welt gehen und hoffen, dass man von den anderen das kriegt, was sie im Überfluss haben.
Gehre: Es liegt an jedem selbst, wie er sein Leben gestaltet.
Was sind die wichtigsten Spielregeln?
Ledit: Man kann sich nichts einfach nehmen, sondern muss mit Blüten bezahlen; das ist die interne Währung. Wie viel diese Wert ist, hängt von den Spielern ab – davon, wie sehr sie untereinander zu handeln anfangen und wie sehr sie an sie glauben. Für bestimmte Sachen im Spiel bekommt man Blüten, und bestimmte Sachen, die wir hergeben, kosten Blüten.
Wo bekommt man sein Geld her?
Gehre: Von der Bank, die es im Theater geben wird. Man kann arbeiten, zum Beispiel Sand abbauen oder nach Gold schürfen. Und für das Gold und den Sand bekommt man Aktien, die man bei der Bank gegen Geld eintauschen kann oder mit denen man handeln kann. Es gibt Arbeitsplätze, man kann aber auch selbst unternehmerisch tätig werden und beispielsweise einen Marktstand aufmachen und Kaffee verkaufen oder Taschen nähen.
Ledit: Es gibt Angestellte: Der Goldanmaler macht aus Steinen wertvolle Nuggets, es gibt jemanden, der Sandsäcke zuknöpft. Man kann sich für 30 Minuten anstellen lassen und bekommt ein fixes Gehalt mit allen sozialen Absicherungen. Es wird aber nie irgendjemand vom Theater kommen und sagen "Tu jetzt dies oder das." Was allerdings nicht geht, um an Blüten zu kommen, sind Überfälle.
Sind die Spielregeln sakrosankt?
Ledit: Es gibt auch Regeln, die man im Spiel verändern kann. Das können die Bürgermeister machen. Sie haben sehr viel Macht: Sie müssen gewählt werden, können aber auch abgewählt werden. Man kann sich aber auch als Bürger mit anderen zusammentun, selbst eine Regel aufstellen und den Bürgermeister absetzen.
Gehre: Jedes Dorf hat einen Bürgermeister; dessen Amtszeit dauert zwei Stunden. Wenn der Glücksindex innerhalb dieser Zeit gefallen ist, muss das Dorf einen neuen wählen. Dieser Index wird ermittelt, indem alle Spieler immer wieder nach einer Skala von 1 bis 10 befragt werden, wie glücklich sie sind. Jeder kann Bürgermeister werden – wer die meisten Stimmen sammelt, wird"s, und dann kann er Gesetze beschließen. Ein Bürgermeister kann z. B. Steuern verändern, Kredite aufnehmen, Dinge anschaffen, Grundeinkommen einführen. Damit ein Bürgermeister kein Diktator wird, gibt es auch Veto-Möglichkeiten der Siedler.
Muss man 24 Stunden durchhalten oder kann man eine Pause einlegen?
Gehre: Man kann nicht ein paar Stunden heimgehen und dann wiederkommen. Wer das Spiel verlässt, kann nicht zurück. Wir zäunen das Theater ein – der ganze Vorplatz wird Spielfläche sein. Aber im Spiel kann man Pause machen, so viel man will.
Ledit: Eine wichtige Regel gibt es noch: Man darf nicht in die Unterwelt. Man weiß, dass es sie gibt und dass dort Spieler sind, aber man weiß nicht, wie man hineinkommt. Sie ist sehr anders als die Oberwelt – in der Unterwelt geht es um sehr viel Geld und ums Zocken.
Gehre: Es gibt dort jedoch keine Geldscheine mehr, sondern nur Schecks und Kredite. Ein Bürgermeister kann die Unterwelt schließen, was aber den Nachteil hat, dass keine Steuern mehr von unten hochkommen, die für jeden Scheck anfallen.
Welche Rolle spielen die professionellen Theaterschauspieler?
Gehre: Die Schauspieler, Statisten und Sänger sind diejenigen, die die Welt mit erzeugen, in der die Besucher hineinkommen: Sie sind Bankdirektor und Bankangestellte, Konzerndirektor und Konzernangestellte ...
Was ist das Ziel des Spiels?
Gehre: Das Dorf hat gewonnen, das über die gesamten 24 Stunden am glücklichsten war und dabei nicht Konkurs gegangen ist. Das Glück wird, wie gesagt, jede Stunde per Befragung ermittelt.
Ledit: Alles baut auf Geld, Glück und Nachhaltigkeit auf und wie man das alles unter einen Hut bringen kann.
Gibt es eine Vorlage für dieses Spiel?
Gehre: Die Idee geht zurück auf die Regionalwert-AG von Christian Hiß aus Eichstetten, der eine Aktiengesellschaft gegründet hat, um Ökolandschaft neu zu denken. Vor zwei Jahren haben wir angefangen, daran zu arbeiten – mir war relativ schnell klar, dass das ein Spiel werden muss, so eine Mischung aus Monopoly und Dschungel-Camp.
Was muss man mitbringen?
Gehre: Zahnbürste, Handtuch, Schlafsack und einen Gürtel für den Anzug, den man bekommt.
Kann man auch etwas gewinnen?
Gehre: Ja, es gibt die Chance, richtiges Geld zu gewinnen. Jede Stunde wird ein Euro-Optionsschein versteigert. Wer ihn am Ende des Spiels besitzt, kann ihn gegen reales Geld eintauschen.
Ledit: Das kann mehr sein, als man Eintritt zahlt.
Das Gespräch führte Frank Zimmermann
Regiodrom – 24 Stunden das gute Leben
Echtzeit-Spiel am Theater / Regisseur Klaus Gehre über Regiodrom
Freiburger Amtsblatt 7. Juni 2013
Von Freitag 19. bis Samstag 20. Juli veranstaltet das Theater Freiburg Regiodrom, eine Art Echtzeit-Spiel, an dem bis zu 250 Menschen teilnehmen können. Gespielt wird von 15 bis 15 Uhr, also genau 24 Stunden. Das Theater verwandelt sich in ein interaktives Spielfeld: Foyers, Jackson-Pollock-Bar, Passage und Theatervorplatz öffnen sich als neuer Kontinent für eine Zwischennutzung durch 250 Siedler. Wo sonst Theaterzuschauer warten oder rasten, können die Mitspieler eine neue Existenz im Land der unbegrenzten Möglichkeiten des Spiels gründen: Gold finden, Dörfer bauen, gesellschaftliche Strukturen aushandeln, Unternehmungen starten. Am Ende des Spiels tauschen sich die Akteure in einer offenen Gesprächsrunde über das Spiel aus.
Der Autor und Regisseur Klaus Gehre organisiert Regiodrom, zusammen mit dem Spieldesigner Lev Ledit aus Wien. Im Gespräch erzählt Gehre, worum es bei diesem Spiel geht.
Herr Gehre, was ist Regiodrom?
Regiodrom ist eine Art ökonomisch-ökologische Spiel-Simulation zum Thema Nachhaltigkeit. Nicht nur im ökologischen, sondern auch im sozialen und wirtschaftlichen Sinne.
Welche Dinge muss man mitbringen, um mitmachen zu können?
Zahnbürste, Schlafsack, Socken vielleicht für die Nacht, und bequemes Schuhwerk. Klamotten kriegen die Leute von uns. Handys sind ausdrücklich erlaubt. Teilnehmen kann jeder über 18 Jahren. Die Spielwelt ist leider nicht barrierefrei, daher für Rollstuhlfahrer nicht geeignet. Und für Essen und Trinken ist natürlich gesorgt.
Wie ist Regiodrom organisiert?
Es wird eine eigene, in sich abgeschlossene Spielwelt sein, in der die Zuschauer für 24 Stunden leben. Wir schließen das Theater für einen Tag, es entsteht eine eigene Welt – mit zwei Dörfern, einer Unterwelt, einer Bank. Und ganz viel Spaß und Unterhaltung.
Gibt es Spielregeln?
Ja! Regel Nr. 1: Wer die Spielwelt verlässt, kann nicht mehr zurück. Ansonsten erfahren die Teilnehmer während ihres „Lebens“ in der Welt die Spielregeln. Und innerhalb dieser gibt es ein Maximum an Freiheit. Aber: Feste Spielregeln zu haben heißt nicht, das alles unveränderlich ist. Es heißt doch vielmehr: Unter bestimmten Rahmenbedingungen kann ich verschiedene Strategien ausprobieren, um zu einem Ziel zu gelangen. Das ist ja das Schöne.
Wie sieht die Spielwelt aus?
Es gibt eine Oberwelt, da sind quasi alle drin, verteilt auf die 2 Dörfer. Und in dieser Oberwelt kann ich Gold finden, Aktien erwerben. Es gibt eine Bank, einen Markt, ein Café. Ich kann Geld ausgeben und Geld verdienen. Und dann gibt‘s noch die Unterwelt. Und den lieben Gott – der uns manchmal hilft, wenn’s brenzlig wird.
Entscheide ich als Teilnehmer selber, wo ich leben will?
Ja. Jedes der beiden Dörfer hat verschiedene Parzellen, die jeweils einem Clan gehören. Und da entscheide ich mich am Anfang für eine Parzelle – je nachdem, was mir wichtig ist. Denn die Parzellen unterscheiden sich durch ihre Lage, die darauf vorhandenen Rohstoffe und den so genannten Promi-Faktor. Jeder kann das selbst entscheiden. Und wer als Erster kommt, der hat die größte Auswahl.
Kriege ich Geld von euch?
Ich muss es mir als Spieler natürlich selbst verdienen: Indem ich Gold finde oder forsche. Oder indem ich was an andere Spieler verkaufe. Leute sind unglaublich kreativ und das interessiert mich.
Nehmen wir an, wir sind in einem gleichen Dorf. Arbeiten wir in einem Team oder jeder für sich?
Das werden wir beide dann entscheiden.
Da ist ein Rohstoff, den wir beide wollen. Kämpfen wir drum?
Nein. Das Schöne ist, dass sich viel finden lässt. Aber sie werden natürlich irgendwann knapper werden. Das ist wie beim Öl, mit allen Mechanismen, die dazugehören, zum Beispiel Preisanstieg bei wenig Rohstoffen. Aber das ist im Spiel für jeden durchschaubar. Und dann müssen wir noch mal neu schauen. Aber man kann auch anders Geld verdienen. Oder man versucht gleich, die Utopie ohne Geld zu leben. Auch das ist möglich.
Spielen die beiden Dörfer gegeneinander oder miteinander?
Das entscheiden die Dörfer.
Sie haben von einer Unterwelt gesprochen. Ist die angeschlossen an die Oberwelt?
Es gibt Wege dorthin. Aber da kommt man nicht einfach runter.
Wie kommt man dorthin?
Bestechung, Geld, Infos – es ist ein limitierter Zugang dorthin. Sonst wär’s ja langweilig!
Okay, die Unterwelt muss man sich also „erarbeiten“.
Da muss man runter wollen. Aber man wird in der Oberwelt Bilder sehen, wie es dort unten aussieht. Es geht um Verführung.
Was mache ich in der Unterwelt?
Zuallererst mein Scheckbuch abholen und den maximal möglichen Kredit. Und dann geht’s los – so lange, bis ein anderer Spieler einen ungedeckten Scheck von mir einlösen will. Dann fliege ich aus der Unterwelt raus. Unten passieren die schnellen Dinge: Alkohol, Luxus, Genuss. Und: auf alles zocken und Wetten abschließen, was in der Oberwelt passiert. Diese ganzen schlimmen Dinge, die man bei den Bankern immer kritisiert, aber vielleicht auch gern mal ausprobieren würde, wie sich das anfühlt. Ich muss nur jemanden finden, der dagegen wettet.
Was kann ich in den 24 Stunden genau machen?
Zuallererst: mir ein Dorf suchen. Dann natürlich nach Gold graben und fündig werden. Und dann das verdiente Geld ausgeben. Ich kann an meinem Dorf bauen, es schöner und gemütlicher machen. Ich kann Bürgermeister meines Dorfs werden und neue Gesetze erlassen, beispielsweise Steuern verändern, Anschaffungen für mein Dorf machen, Grundeinkommen einführen. Oder ich werde Experte, der sein Veto gegen eine solche Idee einlegt. Oder ich sitze im Café. Oder gründe mit anderen eine Food-Coop, weil mir das Café zu teuer ist. Oder ich miete mir einen Stand, tätige eine Investition und verkaufe selber Brötchen, Kaffee, Kuchen. Oder ich mache einen Tanzkurs, Nachtyoga, miete zwei Opersänger, sitze mit Gitarre unterm Sternenhimmel, erzähle Märchen, höre zu, gehe schlafen oder oder oder. Also es gibt sehr vieles, was die Teilnehmenden machen können oder auch nicht.
Was ist das Spielziel?
Es geht um den Zusammenhang von Nachhaltigkeit, Geld und Glück. Es gewinnt am Ende dasjenige Dorf, das am glücklichsten gelebt hat, ohne Konkurs zu gehen. Und ich kann natürlich als Einzelner im Spiel Euro-Optionsscheine ersteigern. Diese kann ich am Ende des Spiels gegen richtige Euros eintauschen. Ich darf sie bis dahin nur nicht verlieren ...
Wie kann ich als Mitspieler wissen, welches Handeln besser fürs gute Leben ist?
Die Frage ist doch: Ist das, was ich tue, um mich jetzt, in diesem Moment wohl zu fühlen, auch über einen längeren Zeitraum gut? Also beispielsweise: In unserem Spiel kann ich als Bürgermeister Kredite aufzunehmen, um tolle Dinge für mein Dorf anzuschaffen. Aber der Kredit muss natürlich zurückgezahlt werden – nicht gleich, aber irgendwann schon. Und sind dann immer noch alle happy? Oder anders gefragt: Geld macht natürlich glücklich, weil es Dinge ermöglicht. Aber gibt es nicht auch das Gefühl des Sich-wohl-Fühlens, des Glücklichseins abseits davon: durch gute Gespräche oder weil man Probleme oder Rätsel löst oder auf Überraschendes stößt und da plötzlich was aufgeht. In vielen Dingen liegt Potenzial, um ein Gefühl der Befriedigung zu kriegen. Da brauch ich nicht immer Geld für. Man muss es nur zulassen oder entdecken.
Letzte Frage: Was kriegt der Gewinner?
Das Dorf, das gewinnt, fliegt ins Paradies (zum lieben Gott). Und man darf gespannt sein, was das heißt. Und es gibt ja immer noch die besagten Euro-Optionsscheine.
Das Gespräch führte Cagdas Karakurt
Die Kreativität der Banker
Theaterregisseur Klaus Gehre über Spiel und Kapitalismus
Der Sonntag 18. Dezember 2011
Den Moralapostel will Klaus Gehre auf der Bühne nicht geben, stattdessen lässt der Freiburger Regisseur das Publikum in einem Mitmach-Monopoly für 360 Spieler zum Zug kommen. Im letzten Teil unserer Interview-Serie Kassensturz erklärt der Theatermacher, was wir vom Kapitalismus lernen können.
Herr Gehre, die Finanzkrise ist derzeit Thema auf vielen Bühnen im Land, auch in Freiburg. Erlebt die Kapitalismuskritik im Theater gerade ein Renaissance?
Wahrscheinlich ja, weil es ein Thema ist, über das es sich nachzudenken lohnt. Die Frage ist allerdings, wie produktiv das Theater überhaupt über Finanzwirtschaft reflektieren kann. Natürlich gibt es das Bedürfnis nach gesellschaftlicher Utopie. Aber es stellt sich die Frage: Wie kann das vital werden? Wie wird das für ein Publikum konkret? Interessant finde ich ein Stück, wenn es nicht schon alles weiß und Raum für Neues lässt.
Dennoch gehört Banken-Bashing oft zum guten Ton, nach dem Motto: dort die Bösen, hier die Guten.
Von draußen auf Dinge zu schauen, ohne konkrete Verantwortung, verführt immer leicht zum Gutmenschentum. Aber in den Chefetagen der Banken sitzen keine Idioten und Finanzprodukte sind nicht per se schlecht. Im Grunde entstehen sie meistens, weil es unterschiedliche Interessen gibt, die über das Produkt miteinander vermittelt werden, zum Beinspiel bei Termingeschäften. Aber: Theatermacher sind in der Regel keine Finanzexperten, die wissen, wie es besser geht. Deshalb muss man sehr genau über Möglichkeiten nachdenken, wie sich dieses Thema darstellen lässt.
Und kommt auf die Idee, eine Partie Monopoly mit dem Publikum zu bestreiten?
Ja. (lacht) Für ein Projekt, das im Juni ins Theater kommt, arbeiten wir gerade mit einem Game-Designer zusammen, der eine Spielewelt für 360 Spieler entwirft, ein gelebtes Monopoly sozusagen. Die Zuschauer werden für 24 Stunden zu Spielern in einer eigenen, abgeschlossenen Welt. In dieser Welt gibt es Geld, die Blüte. Um das Geld zu bekommen, muss man mit Rohstoffen handeln. Und da gibt es gute und schlechte Rohstoffe.
Bislang galt Monopoly als Kapitalistenspiel. Jetzt wollen Sie eine Fair-Trade-Version daraus machen?
Vielleicht sollten wir lieber von einer Wirtschaftssimulation sprechen. Ein Spiel, in dem die Spieler selber als Akteure in mikroökonomischen Zusammenhängen aktiv sind. Die Teilnehmer werden mit einfachen, ganz konkreten Fragen konfrontiert sein, die sich aber gedanklich auf größere Zusammenhänge übertragen lassen. Dann misst sich Nachhaltigkeit plötzlich an der Frage, ob ich um 16 Uhr schon bereit bin, darüber nachzudenken, wo und wie ich um Mitternacht schlafen werde.
Wer gewinnt?
Derjenige, der das beste Leben geführt hat. Aber was ist das beste Leben?
Das klingt nun aber doch nach einer Erziehung zum Gutmenschentum.
Wer spielt, lernt ja etwas. Das ist ja das Grandiose. Deswegen macht es doch immer so einen großen Spaß. Du spielst, weil es Spaß macht. Und weil es Spaß macht, lernst du was. Unsere Vorbereitungen haben zum Ziel, ein schönes Spiel für 360 Zuschauer zu ermöglichen, worüber sie hinterher allen erzählen. Und wenn Leute erzählen, verändern sie die Welt.
Demnach müssten Investmentbanker, die Millionen verzocken, viel gelernt haben.
Zumindest haben sie die Welt verändert. Aber im Ernst: Unkreativität kann man denen nicht vorwerfen. Auf manche Ideen muss man erst mal kommen. Das Problem ist nur, dass es da nicht mehr um Spielgeld, sondern um reale Werte geht.
Man muss die kreative Energie also einfach nur für die richtigen Dinge nutzen?
Kreative Energie schlummert eigentlich überall und sucht sich seine Betätigungsfelder – ob im Autotuning, bei Second Hand oder dem Schmücken des Tannenbaums. Das ist ja eine unendliche Ressource. Wie aber bekommt man die Energie dorthin, wo sie Gutes tut und niemandem schadet. Wie bringe ich meine Gier dazu, dass sie Nachhaltigkeit produziert? In Bezug auf das Spiel denken wir beispielsweise viel darüber nach, wie wir Begebenheiten schaffen, damit Leute ihre vielleicht versteckten oder lange nicht gebrauchten Begabungen in die Gemeinschaft der 360 einbringen können.
Gibt es auch einen wirklich realen Bezug, der über das Spiel hinausreicht oder bleibt doch alles letztlich Utopie?
Das Spiel geht zurück auf das Konzept der Regionalwert AG, die von dem Freiburger Christian Hiss vor fünf Jahren gegründet wurde. Dahinter steht die Idee, Ökolandbau über eine Aktiengesellschaft zu finanzieren. Und das ist natürlich hoch interessant, weil da kapitalistische Strukturen genutzt werden, um Probleme des Kapitalismus zu lösen. So eine Aktiengesellschaft ist ja ein hochgradig innovatives Modell: Es gibt Leute, die haben Geld, andere haben Land und wieder andere haben Bock darauf, was zu machen, haben aber weder Land noch viel Geld. Und diese drei Gruppen bringt man zusammen – zum Nutzen aller. Und darum geht es: Wir müssen Kapitalismus verstehen lernen, um ihn für unsere Ideen und Utopien nutzbar zu machen. Wir können so viel von ihm lernen. Wir müssen nur unsere Augen aufmachen.
Das Gespräch führte Julia Jacob
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